Sonntag, 18. Oktober 2009
von spatzen auf dächern..
.. die mir die welt erklären wollen.
die stadtkarte in der hand will ich alles erobern. keine kompromisse der freundlichkeit in dieser stadt. ich muss kämpfen. ein ritter der vernunft gegen eine großstadt des wahnsinns. mit der lanze, verborgen und geheim, schleiche ich um häuserecken, mich verdecken, mich erschrecken, wenn - der name der straße unerwartet anders klingt als ich in meinem kopf mir die lage der stadt ausgedacht hatte. die vermutung, dass straßen, kreuzungen ja sogar plätze des nachts heimlich lokalitäten tauschen, mauscheln und rückwärts die stadt verlassen, wird offensichtlich. nichts bleibt wie es ist - nur eines, meine verwirrung.
die ersten tage, wochen sind ein herumirren, schlender, tendern, wandern und kriechen in der neuen heimat. das wetter ist wunderbar warm und dank des schlechten orientierungssinn und der mangelnden gabe der erinnerung, entdecke ich jeden tag alles wieder neu. der supermarkt um die ecke, der scheinbar einfach immer immer auf hat, und scheinbar immer das im angebot was ich gerade brauche, fällt mir in der dritten woche vor die füße.

die impressionen über die stadt - die illusionen über leichtigkeit im gehen und schwerelosigkeit gekonnt im fliegen -
ich mag: warme metrostationen mit fast natürlichem wind, verrückte fahrradfahrer mit visionen, billige taxis, hinterhöfe mit blumen, hinterhöfe ohne im weg stehende blumen, ich mag musik in unterführungen, ich mag das treiben, das lieben, das sehen, das herz der stadt - ich mag mein zimmer.

ich mag nicht: den geruch, die weiten wege, den grauen himmel vor meinem fenster, wohnungen, die sich altbau nennen und eigentlich schrott heißen müssten, ich mag nicht den verkehr und doch wieder das verbotene und natürlich das wahnsinnig gefährliche überqueren der straße bei rot, ich mag nicht das nicht vorhandene rauchverbot und das fehlende sozialnetz.

ich habe in vorher zwei jahre in leipzig gewohnt. eine kleine stadt, eine studentenstadt im osten deutschlands. ich habe versucht ungarische studenten nach besetzten häusern, nach volksküchen und straßenkunst zu fragen - ich habe es versucht. ein versuch der immer wieder gegen wände fuhr. ich verstand die blicke genauso wenig wie sie meine fragen. die riesige stadt mit noch viel mehr menschen, menschenhaufen und menschenmenschen ist offensichtlich nicht leipzig. erkenntnis einer träumerin einfach dort weitermachen zu können wo man aufgehört hat. bitte einmal die verlegung leipzigs in andere länder. bitte einmal alles auf anfang und alles wie es der marionettenspielerin gefällt. es gibt alternative vereine, alternative klubs, alternative ausgeh- und ess- und stehmöglichkeiten, aber ich kann mich nicht gut fühlen, wenn ich inmitten eines dresscodes agiere, negiere, umfalle und knalle, auf den boden mit dem kopf. loch und hirnblutung.
es ist schwierig, es ist normal, es ist eine intelektuelle aufgabe und kreuzworträtsel für den kopf sich einen straßenzugsalltag aufzubauen. die frage, wo kaufe ich einen stinknormalen verdammten schreibblock brachte mich an den rand meines tellerwahnsinns. ich fuhr und kurvte, ich frug und grub löcher bis zum lächerlichen anderen ende der stadt um dann im größten aller einkaufszentren (mammutcentre) einen dummen kleinen block für nicht einmal einen euro zu kaufen. das strengt mich an. der ritter fällt abends tot ins bett. wiederbelebungsmaßnahmen über nacht nur minder erfolgreich. die schlafkrankheit scheint mich befallen.
schlafwandeln durch fremde straßen auf der suche nach gewohnten - wo kaufen, wo kopieren, wo die erste lieblingsbank mit buch ersteigern, wo gerne hingehen, wo essen, wo glücklich sein? jeder tag ein abenteuer. die lanze ist schon stumpf vom schlagen gegen windmühlen. ein moulin rouge entdeckt auf einem der wege ins unendliche gewühle der ameisenmenschen.

jetzt, nach ungefähr fünf wochen, glücklichen besuchen und einem rapiden temperatursturz - was kann ich da sagen - ich mag sie, die stadt. sie kommt näher zu mir. sie fängt an mit mir zu sprechen. sie nuschelt und redet wirr, sie krampft und kämpft, wankt und trägt doch stolz vor mir den smog, aber sie spricht, auch wenn ich kein einziges wort verstehe, werde ich nicken und "igen" flüstern.

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